Szenario eines Blackouts in der Schweiz
In den letzten Tagen hat der Stromausfall auf der Iberischen Halbinsel für Schlagzeilen gesorgt. Wäre ein solches Szenario auch in für die Schweiz denkbar und wie würde das Stromnetz wieder stabilisiert werden? Alpiq verfügt mit „Electra Massa“ im Wallis über ein spezielles Kraftwerk, das eines der wenigen ist, die das Stromnetz wieder starten können. Romain Birbaum, Leiter des Teams, zu dem die zentralen Leitstelle von Alpiq gehört, welche die Kraftwerke steuern, hat uns dazu einige Fragen beantwortet.
Romain, wäre ein Szenario mit einem kompletten Blackout wie es in Spanien und Portugal diese Tage passiert ist für die Schweiz auch denkbar?
Vor 20 Jahren, am 18. Januar 2005, hatte ich eben erst bei Alpiq begonnen, da passierte ein ähnlicher Fall: Damals schlug ein Blitz in der Nähe von Genf ein und verursachte einen grossflächigen Stromausfall, bei dem ein Grossteil der Region zwischen Genf und Lausanne betroffen war. Theoretisch ja. Auch heute kann ein Stromausfall, der entweder das gesamte Stromnetz oder einen Grossteil des Netzes in der Schweiz betrifft, nie komplett ausgeschlossen werden. Praktisch sind wir aber sehr gut abgesichert und vorbereitet.
Warum ist es so schwierig, ein Stromnetz aus einem kompletten Blackout wieder zu starten?
Ich vergleiche das europäische Stromnetz oft mit einem grossen Schiff, das gegenüber externen Einflüssen und Schwankungen sehr stabil ist. Kommt es zu einem vollständigen Stromausfall, einem kompletten Blackout, wird das Netz durch kleine Inseln, die mit kleinen Booten vergleichbar sind, wiederhergestellt. In diesem Moment müssen die Produktion und die Last schrittweise wieder angeschlossen werden. Die Netzfrequenz muss konstant auf 50 Hertz gehalten werden – das ist nur möglich, wenn Produktion und Verbrauch im Gleichgewicht sind. Bei einem zu grossen Ungleichgewicht kentert das Schiff und man muss von vorne beginnen. Daher ist es eine nicht zu unterschätzende Aufgabe und funktioniert nicht wie zu Hause am Sicherungskasten.
Welche Massnahmen würden in der Schweiz in diesem Fall eingeleitet?
Gemeinsam mit Swissgrid führen wir regelmässig Übungen und Schulungen durch, bei denen verschiedenste Störungsszenarien durchgespielt werden. Wir haben aber auch Schutzsysteme, die die Auswirkungen eines Ausfalls minimieren, indem wir den «defekten» Teil im System isolieren können. In den meisten Fällen, in denen ein Teil des Stromnetzes noch in Betrieb ist – also kein kompletter Blackout vorliegt -, erfolgt die Wiederherstellung des Netzes, indem Leitungen aus dem „gesunden“ Bereich wieder zugeschaltet werden. Die Kraftwerke und Verbraucher werden dabei schrittweise und koordiniert wieder angeschlossen. Denn die Schwierigkeit ist eben, das Gleichgewicht zwischen Verbrauch und Produktion so gut wie möglich auszubalancieren.
Gibt es dazu eine Systematik, auf die wir in der Schweiz zurückgreifen?
Swissgrid hat in der Schweiz vier Zonen «Zentrum», «Osten», «Westen» und «Süden» definiert, um den Wiederaufbau des Netzes im Notfall zu gewährleisten. Jeder dieser Teile verfügt jeweils über mindestens ein Kraftwerk, das im «Dunkeln», also ohne externe Versorgung durch den lokalen Verteiler gestartet und im «Inselbetrieb», also für sich selbst, funktionieren würde. Diese Kraftwerke werden regelmässig getestet. Dadurch ist sichergestellt, dass selbst bei einem vollständigen Ausfall des europäischen Stromnetzes das Netz wiederhergestellt werden kann.
Alpiq wäre im Falle eines Blackouts in der Schweiz mit ihrem Kraftwerk Electra Massa für das Hochfahren der Energie in der Region «West» zuständig. Wie genau würde das ablaufen?
Im Falle eines Blackouts würde Alpiq die Kollegen vor Ort bitten, das Kraftwerk Electra Massa zu starten und eine Last von etwa 20 MW anzuschliessen. Danach übernimmt Swissgrid die Aufgabe, um die Wiederherstellung des Netzes, die Synchronisierung der Zonen und die schrittweise Wiederherstellung der Verbindung zwischen Produktion und Verbrauch mit den anderen Akteuren zu koordinieren. Wir haben ein Mandat von Swissgrid als so genannte «Netzwiederaufbaumanagerin der Zelle West».

Zur Person
Romain Birbaum ist seit 2020 Head of Grid, OT & System Management bei Alpiq. In dieser Aufgabe ist er für das Team, zu dem die Leitstelle gehört, zuständig, welche die Stromproduktion von Alpiq steuert und überwacht. Die Kollegen vom Dispatching arbeiten 24/7 auch in der Nacht und an den Wochenenden, um eine zuverlässige und effiziente Stromversorgung zu gewährleisten. Romain, der einen Abschluss der EPFL hat, arbeitet seit 2003 für Alpiq in Lausanne in verschiedenen Führungspositionen.

Über welche Fähigkeiten muss ein so ausgewähltes Kraftwerk im Notfall verfügen, damit es überhaupt das Stromnetz wieder hochfahren kann?
Man nennt dies im Fachjargon «Systemdienstleistung». Um dieser Systemdienstleistung gerecht zu werden, müssen wir einerseits über eine Zentrale zur Steuerung verfügen, die autonom – also ohne externes Verteilungsnetz - starten kann, und andererseits auch in einem isolierten Netz als «Insel» betrieben werden kann. Das sind die beiden zentralen Kriterien. Electra Massa kann beides.